Weiblich, 47 und noch lange nicht satt

Es war ein gutes Leben, ein geregeltes Leben. Beruflich hatte ich viel erreicht, gutes Geld verdient und wertvolle Anerkennung bekommen. Ja, es gab viele gute Gründe, mein Leben in den bisherigen Bahnen weiterlaufen zu lassen. Doch mit der Zeit kam ich immer häufiger ins Grübeln.

Meine Werte und Ansichten passten im Laufe der Jahre immer weniger zu meinem Umfeld. Mir fiel es von Jahr zu Jahr schwerer, den für mich wichtigen Fragen auszuweichen. Ich bin 47 und damit in einem Alter, in dem der größere Lebensabschnitt wahrscheinlich hinter mir liegt. Gleichzeitig liegen aber bis zur Rente noch 20 Jahre vor mir. Wie also sollen diese 20 Jahre aussehen? Sollte ich einfach so weitermachen wie bisher? Sollte ich warten, bis äußere Einflüsse wie eine Krankheit, ein Unfall oder ein Jobverlust eine Veränderung auslösten?

Seien wir doch einmal ehrlich, wir strampeln uns täglich ab, kritisieren und ärgern uns immer wieder über dieselben Kleinigkeiten oder über grundsätzliche Abläufe — nur ändern, ändern tun wir nichts. „Ich soll, ich muss, du kannst doch nicht“ sind die Risiken und Nebenwirkungen eines „guten Lebens“, dessen Beipackzettel wir nur in den seltensten Fällen lesen. Wir gehen weiterhin den gleichen Dingen nach, suchen zum Ausgleich zwanghafte Entspannung durch Work-Life-Balance und merken dabei gar nicht, dass das Pferd auf dem wir reiten, eigentlich schon tot ist.

Und wenn das Pferd tot ist, wird es für die Reiterin höchste Zeit auf ein neues Pferd zu setzen. Einen Neuanfang zu wagen, ein geschütztes Umfeld aufzugeben und Stabilität, den aktuellen Job oder auch Wertschätzung hinter mir zu lassen. Das heißt nicht, dass ich mich nun auf eine spirituelle Sinnsuche begebe. Den Sinn habe ich dankenswerter Weise für mich schon lange gefunden. Das heißt auch nicht, dass ich zukünftig nicht mehr arbeiten möchte — ganz im Gegenteil.

Das heißt jedoch, dass ich mir die Zeit nehmen werde, um für mich herauszufinden, wie ich die vermeintliche Trennung von Arbeit und Leben auflösen kann. Vielleicht findet sich ein neuer Job, der mit meinen Vorstellungen eines selbstbestimmten Arbeitens und Lebens vereinbar ist. Vielleicht setze ich andere Schwerpunkte und arbeite nur noch an kleinen Projekten mit. Vielleicht versuche ich etwas Neues, etwas Eigenes hochzuziehen. Vielleicht werde ich mit all diesen Gedanken gnadenlos scheitern. Es ist mir erst einmal egal, was kommt. Es ist wunderbar, dass es nicht geordnet, strukturiert und für die nächsten 20 Jahre festgelegt ist.

Ich bin weiblich, 47 und noch lange nicht satt.

Disclaimer: Dieser Artikel erschien zuerst am 18.10.17 auf Medium.

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